Die Studiensammlung des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien – Sammlung, Archäologische Funde, Digitalisierung

Violetta Reiter, Alois Stuppner

Abb. 1. Moritz Hoernes (1852-1917)

Seit 1899 besitzt das Institut für Ur- und Frühgeschichte eine Studiensammlung, die durch Schenkungen und Ankäufe ständig erweitert wurde. Sie zählt zu den größten und umfangreichsten ur- und frühgeschichtlichen Studiensammlungen europäischer Universitäten. In Kästen aus dem Jahre 1963 lagern über 90.000 Fundobjekte, (Stand 2024) wovon derzeit ca. 2.000 in Vitrinen als Schau- und Übungsobjekte für die Lehre ausgestellt sind. Der größte Anteil stammt aus europäischen Ländern. Der Bestand aus außereuropäischen Ländern ist vor allem auf die Tätigkeiten ehemaliger Ordinarien zurück zu führen. Innerhalb Europas sind Österreich und die ehemaligen Kronländer am stärksten vertreten, wobei auch Namen gebende Fundorte für eine Kulturgruppe wie, Stillfried, Hallstatt oder Mondsee, darunter sind. Die Studiensammlung zeigt und beinhaltet Gegenstände, die fachspezifisch den vorzugsweise speziellen Forschungs- und Lehraufgaben des Instituts ständig zur Verfügung stehen müssen. Außer Sammeln und Bewahren sind Forschen und Vermitteln in der Lehre die Hauptaufgaben der Studiensammlung. Sie ermöglicht ein intensives, vor allem vergleichendes Studium zahlreicher Objekte und Objektgruppen über die einzelnen Kulturperioden hinweg.

Entstehung und Ausbau der Sammlung war bereits zu Beginn an die Bedürfnisse der Lehre gebunden. 1899 wurde Moritz Hoernes an der Universität Wien zum außerordentlichen Professor für prähistorische Archäologie ernannt (Abb. 1). Erstmalig wurden im Sommersemester 1899 „Übungen im Erkennen und Bestimmen prähistorischer Gegenstände“ in der prähistorischen Sammlung des k. u. k. Hofmuseum abgehalten. Da es Schwierigkeiten mit der Intendanz der prähistorischen Sammlung des k. u.  k. Hofmuseums gab, begann er eine eigene Studiensammlung aufzubauen, um eine eigenständige Lehre ohne das k. u. k. Hofmuseum durchführen zu können. Nach längeren Bemühungen - Räumlichkeit, Beschaffung von Gipsabgüssen, Dubletten betreffend - konnte am 4. März 1905 die Studiensammlung als prähistorischer Lehrapparat gegründet werden. Bereits im Jahre 1910 wies diese 1.400 Fundobjekte in Form von Originalen, Dubletten und Gipsabgüssen auf. Großteils waren sie Geschenke der Prähistorischen Sammlung des k. u. k. Hofmuseums. ( Felgenhauer (1965) 16.)

Abb. 2. Matthäus Much (1832-1909)

Die erste und größte Erweiterung der Studiensammlung erfolgte im April 1912: Im entscheidenden Augenblick konnte Hoernes das Unterrichtsministerium für den Ankauf der „Sammlung prähistorischer Altertümer des Dr. Much“ gewinnen, der 1909 verstorben war (Abb. 2).

Die rund 24.000 Objekte umfassende Sammlung wurde als "Prähistorisches Museum Muchs" in der Wasagasse 4, 1090 Wien aufgestellt. Die Räumlichkeiten wurden von dem mit dem Staatsdenkmalamt verbundenen Kunsthistorischen Institut zur Verfügung gestellt. Der Prähistoriker und Höhlenforscher Dr. Georg Kyrle vom Staatsdenkmalamt führte die erste Aufstellung in sechs Räumen inklusive einer dreifachen Katalogisierung (Orts-, Kronländer- und Standinventar) binnen weniger Wochen durch.

Die Studiensammlung war nach Themen der damaligen Wiener Ur- und Frühgeschichte wie Siedlungsarchäologie, Pfahlbau, Bergbau und Bestattungskunde, Typologie usw.  aufgestellt und wurde für die Lehre und Ausbildung der Studierenden genutzt.

Die Aufstellung hatte folgende Raumgliederung:

Raum 1: Niederösterreichische Ansiedlungsplätze: Stillfried und Buhuberg, Vitusberg, Bisamberg, Groß-Weikersdorf, Roggendorf, Kronberg, Willendorf I, Předmost, Byciskalahöhle u. a.

Raum 2: Pfahlbauzimmmer: Mondsee, Attersee, Laibacher Moor.

Raum 3: Bergbaufunde: Mitterberg bei Bischofshofen, Kelchalpe bei Kitzbühel, Hallstätter Salzbergwerk.

Raum 4: Hallstattzimmer: Grabfeld Hallstatt, Bernhardsthal, Bullendorf, Rabensburg, Stillfried.

Raum 5: Arbeitszimmer mit Streufunden: Streufunde aus Niederösterreich, römische Geräte aus Attersee, ethnologisches Vergleichsmaterial aus der Türkei, Mexiko und Nordamerika.

Raum 6: Typologische Sammlung aller Objekte ohne Fundortsangabe und die frühmittelalterlichen Funde aus Bergheim und Untereching (Menghin 1913).

1917 werden die Institutionen Prähistorischer Lehrapparat und Prähistorische Lehrsammlung zusammengeführt und als "Prähistorisches Institut" bzw. ab 4. Februar 1924 als „Urgeschichtliches Institut der Universität Wien“ bezeichnet (Felgenhauer 1965:20). Bis zum Zweiten Weltkrieg kamen weitere kleinere Sammlungen hinzu, sodass die Studiensammlung bis 1945 rund 26.000 Originalobjekte umfasste. Sie wurde allerdings während der Kriegsjahre teilweise stark beschädigt bzw. sogar zerstört. 1944 und 1945 zerstörten Bomben einen Teil des Institutes in der Wasagasse fast völlig (Felgenhauer 1965:4). Teile der Sammlungen wurden im Schloss Stetteldorf am Wagram gesichert. Die verlagerten Sammlungsbestände waren ein Scherbenamalgam, soweit noch etwas übrig geblieben war, so Richard Pittioni 1965 (Pittioni 1965:67-68.) Nicht verlagerte Bestände wurden von Dr. Franz Hancar vor dem Zugriff der Besatzungsmächte geschützt.

Erst 1953 konnte die Studiensammlung wieder in der Hanuschgasse 3, 1010 Wien in ihrer vollen Breite aufgestellt werden. Aus dem Jahr 1963 stammt der derzeitige Vitrinenbestand, als das Institut in das Neue Institutsgebäude (NIG) der Universität Wien übersiedelte. Zahlreiche neue Fundbestände wurden vor allem in den Nachkriegsjahren vom Institutsvorstand Prof. Richard Pittioni durch Literatur- und Schriftentausch in die Studiensammlung integriert und ein umfassender und für Studienzwecke hervorragend geeigneter Lehrapparat geschaffen, dessen Umfang auf über 34.000 Objekte stieg.

Die jüngste Übersiedlung fand 1988 ins derzeitige Archäologie-Zentrum, Franz-Klein-Gasse 1, 1190 Wien statt, wo 1997 eine Vitrinenbeleuchtung installiert wurde.

Mit der Gründung der Sammlung wurde gleichzeitig ein wichtiger Zweig der Lehre initiiert, nämlich das Üben und Bestimmen am Original. Anfangs begab sich Moritz Hoernes, bis er einen eigenen Lehrapparat hatte, zu Demonstrationszwecken im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen in das k. u. k. naturhistorische Hofmuseum (Felgenhauer 1965:16). (Vor allem der Zukauf der Much’schen Sammlung ermöglichte die Unabhängigkeit des Lehr- und Übungsbetriebes, was sich in weiterer Folge auch in der Lehrtätigkeit des auf Hoernes folgenden Ordinarius Oswald Menghin niederschlug. Die Wurzeln der heutigen Bestimmungsübungen, die ein regulärer Bestandteil des aktuellen Studienplanes sind, reichen in diese Zeit zurück. Die Studiensammlung ist somit ein unabdingbarer Bestandteil der praxisorientierten Ausbildung der Studierenden geworden, der man bei jeder Übersiedlung und Standortveränderung einen entsprechenden Raumbedarf einräumte. Bei der jüngsten Aufstellung 1988 im Archäologie-Zentrum der Universität Wien, galt es vor allem den Anforderungen der Lehre gerecht zu werden. Bis auf Weniges konnten alle Bereiche der Sammlung in einem Raum untergebracht werden. Das Arbeiten in der Sammlung, der unmittelbare, uneingeschränkte Zugang, auch durch Gruppen, waren wesentliche Bedingungen (Abb. 3).

Abb. 3. Raum der Studiensammlung

Der sichtbare Bereich der Sammlung ist chronologisch nach Perioden und didaktisch nach Materialgruppen aufgebaut. Er beginnt mit dem Paläolithikum und endet mit der Neuzeit. Da die Sammlung sehr „urgeschichtslastig“ war und die Lehre um die Mittelalter- und Neuzeitarchäologie erweitert wurde, konzentrierten sich die jüngsten Erwerbungen und Ankäufe auf die Belange der Mittelalter- und Neuzeitarchäologie. So konnte jüngst eine umfassende Sammlung zu Mittelalter und Neuzeit des österreichischen Raumes von der Keramik bis hin zu vielfältigen Alltagsgeräten gewonnen werden.

Aufgabe der Studiensammlung ist es, den Studierenden permanent zur Verfügung zu stehen und ein intensives, vor allem vergleichendes Studium zahlreicher Objekte und Objektgruppen über die Zeitperioden hinweg zu ermöglichen. Die Studiensammlung mit ihren ca. 55.000 Einzelobjekten wird vorrangig in der Lehre für die Bestimmungs- und Zeichenübungen, für Prüfungsarbeiten wie Proseminar-, Diplom- und Dissertationsarbeiten und zukünftig auch in Bachelorseminaren eingesetzt und wird im Studienjahr von ca. 150 Studierenden genützt. Es stehen den Studierenden 32 Studien- und Arbeitsplätze und ein Mikroskop zur Verfügung.

Durch das seit 2005 laufende Digitalisierungsprojekt sollen der Gesamtbestand für Lehre und Forschung transparenter und leichter zugänglich gemacht werden.

Abbildungsnachweis

Abb. 1-2: Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien (Archiv)

Abb. 3: Foto: V. Reiter, © Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien

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Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus:

V. Reiter, A. Stuppner, Die Studiensammlung des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien – Sammlung, Archäologische Funde, Digitalisierung. In: F. M. Müller (Hrsg): Archäologische Universitätsmuseen und -sammlungen im Spannungsfeld von Forschung, Lehre und Öffentlichkeit. (=Spectanda. Schriften des Archäologischen Museums Innsbruck 3). Innsbruck 2013, S. 529–542.